20.11.2024
Dieses spannende Thema war das Leitmotiv des diesjährigen Landestreffens der kirchlichen Krankenhäuser und medizinischen Rehabilitationseinrichtungen in Baden-Württemberg am Brüderklinikum Julia Lanz.
Die Ambulantisierung stationärer Leistungen birgt großes Potenzial, um bestehende Herausforderungen im Gesundheitssystem zu meistern. Auf der anderen Seite bringt die Ambulantisierung aber auch organisatorische Themen mit sich, die in der Patientenversorgung zu bedenken sind.
Diese beiden Sichtweisen wurden angeregt auf dem diesjährigen Landestreffen der kirchlichen Krankenhäuser und medizinischen Rehabilitationseinrichtungen in Baden-Württemberg am Brüderklinikum Julia Lanz diskutiert. Nach der Begrüßung von Gastgeber Oberkirchenrat Urs Keller, Vorstandsvorsitzender Evangelischer Krankenhausverband Baden-Württemberg e. V., tauchten die zahlreichen Teilnehmer direkt tief in die Thematik ein. Der Vorstandsvorsitzende der AOK Baden-Württemberg, Johannes Bauernfeind, beleuchtete die aktuelle ambulante Versorgung in seinem Bundesland, die deutlich besser aufgestellt sei, als anderswo in Deutschland. Dies liege auch daran, dass die Anzahl der stationären Kapazitäten in Bezug auf die Bevölkerungszahlen in Baden-Württemberg schon sehr niedrig sei.
Herr Bauernfeind sieht großes Potential in der Ambulantisierung, um effizienter, schneller und ressourcenschonender zu arbeiten. Wichtig ist ihm dabei, den Menschen weiterhin eine medizinische wohnortnahe Versorgung zu erhalten. Dabei wird es auf die Zusammenarbeit zwischen den Kliniken und den niedergelassenen Ärzten ankommen. Für die stationäre Versorgung tragen die Bundesländer weiterhin die Planungsverantwortung. Es bleibt ihre Aufgabe, eine an den Belangen ihrer Bevölkerung gemessene bedarfsgerechte stationäre Krankenhausplanung – auch im ländlichen Raum – auszuarbeiten und die Versorgung zu gewährleisten. Diese geschehe derzeit im Rahmen der anstehenden Gesundheitsreform.
Bauernfeind sieht
die Aufgabe der Krankenkassen, die Patienten zu unterstützen. Es müsse
sichergestellt werden, dass die Leistungen aus dem Versorgungsauftrag auch
wirklich wohnort-nah angeboten werden. Es dürfe keine Selektion innerhalb der Versorgungsaufträge
stattfinden.
Johannes Bauernfeind
sieht eine sektorenübergreifende Bedarfsplanung, bei Abbau von stationären
Überkapazitäten, ausgerichtet an den Bedürfnissen der Bevölkerung als
essentiell an. Hierzu müssten
einheitliche Rechtsgrundlagen geschaffen werden, damit die
Selbstverwaltungspartner die medizinische Versorgung von Patienten bestmöglich
gewährleiten können.
Nach diesem ordnungspolitischen
und betriebswirtschaftlichen Fokus auf die Ambulantisierung folgte Prof. Dr. med.
Giovanni Maio, Leiter des Instituts für Ethik und Geschichte der Medizin an der
Universität Freiburg, mit seinem Vortag, der den ethischen Standpunkt einnahm. Nach
Auffassung von Prof. Maio haben die Fallpauschalen zu Fehlanreizen im
medizinischen Bereich geführt. Kliniken wurden vermeintlich angespornt, viel zu
operieren, um ausreichend Geld zu verdienen. Auch habe dieser Trend seiner
Ansicht nach zu einer Sinnentleerung bei Ärzten und Pflege geführt: die
medizinische Expertise wurde monetarisiert und der persönliche Kontakt zum
Patienten, die Fürsorge, blieb immer mehr auf der Strecke. Dies führte
offensichtlich dazu, dass viele Ärzte, Therapeuten und Pflegekräfte nicht mehr
in den Kliniken arbeiten wollten.
Prof. Maio forderte
viel mehr, sich wieder auf das Recht eines jeden Menschen auf eine adäquate
medizinische Versorgung zu besinnen. Die stationäre Versorgung müsse auch
weiter gesichert sein, um die Lebensqualität der Menschen zu erhalten. Gleiches
gilt für die ambulante Versorgung. Abschließend mahnte der Professor für Ethik
und Geschichte der Medizin bei allen finanziellen Herausforderungen, nicht den
Blick auf den Menschen zu vergessen für die eine gute Versorgung zu
gewährleisten ist.
Veranstaltet wurde die
hochkarätige Runde vom Evangelischen Krankenhausverband Baden-Württemberg und
der Landesarbeitsgemeinschaft der katholischen Krankenhäuser in
Baden-Württemberg. Die Verbände vertreten 40 Kliniken mit rund 9.000 Betten im
Land. Die Kliniken beschäftigen über 19.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und
versorgen jährlich über 220.000 Patientinnen und Patienten stationär. Die
Moderation wurde von Stefanie Ball, freie Journalistin aus Mannheim,
übernommen. (nil)